NANOOK König der Arktis
Blutiger Kampf

Schneetreiben und ein eisiger Wind empfangen mich, als ich in Churchill, der 1000-Seelen-Gemeinde an der kanadischen Hudson-Bay, die Boing 737 verlasse. Die Hafenstadt in Manitoba ist im November das Mekka der Eisbären-Fans. Naturfreunde aus aller Welt kommen, um dabeizusein, wenn die Bären „The Polar Bear Capital of the World“ erreichen.

Der Kleinbus des „Churchill-Hotels“ holt mich am Flughafen ab. Steve Bosnjak, der Eigentümer, sitzt selbst am Steuer. Gerade erst hat der "Eisbär-Bereitschaftsdienst" zwei der weißen Riesen betäubt, gekennzeichnet und mit dem Hubschrauber zurück in die Wildnis geflogen, berichtet mir der Hotelier. Nach einem Blick auf meine umfangreiche Fotoausrüstung gibt er mir unmißverständlich zu verstehen, ja nicht leichtsinnig auf Schusters Rappen in der Gegend herumzulaufen, um Bären auf eigene Faust zu fotografieren. „Könnte schlimm ausgehen“, meinte der Einheimische trocken - für Dich und den Bären.“Und ich hielt mich an seinen Ratschlag.
Im August, wenn die letzten Eisschollen vor der Südküste der Hudson-Bay schmelzen, sind die Eisbären gezwungen an Land zu gehen. Meist in der Gegend um Cape Tatnam erreichen sie die Küste. Eisbären sind viel zu langsame Schwimmer und zu kurzatmige Taucher, als daß sie im offenen Wasser ihre Hauptbeute, die Robben, fangen könnten. Während der eisfreien Zeit ernähren sich die Bären recht und schlecht von brütenden Vögeln, Eiern, Beeren und Aas, welches die Wellen der Hudson-Bay ans Ufer spült. Eisbären findet man überall im Norden Kanadas und Alaskas, wo Treibeis vorkommt. Etwa 20 000 Eisbären, die Hälfte des Weltbestandes, leben in Kanada. Die andere Hälfte findet man in Nordsibirien, Svalbard (Spitzbergen) sowie in Grönland und Alaska.
Der Kodiakbär, nach der im Golf von Alaska liegenden gleichnamigen Insel benannt, galt lange Zeit als das größte Raubtier der Erde. Zwischenzeitlich haben die Wissenschaftler durch Langzeitstudien aber herausgefunden, daß männliche Eisbären ein Gewicht von 700 Kilogramm erreichen können und damit die 500 Kilo eines Kodiaks deutlich übertreffen.. Ein ausgewachsener Eisbär kann imponierende 3,50 Meter groß werden. Etwa 25 Jahre lebt ein Bär, wobei die Weibchen Zeit ihres Lebens nur zwischen zehn und zwölf Junge bekommen.
Mitte bis Ende Oktober erreichen die Bären auf ihrer Wanderung Churchill, lassen sich gelegentlich sogar in der Stadt sehen, brechen in Häuser ein und plündern Mülltonnen. Die früher offene Müllkippe ist zwischenzeitlich geschlossen. Die Bewohner helfen sich mit speziellen Tunnelfallen, eine mannshohe Wellblechröhre mit Falltüren. Geht der Bär dem Geruch des Köders nach, schließt sich die Falle und er landet im „Bärengefängnis“. Wenn kein Platz mehr im Kittchen frei ist kommt der Hubschrauber.
In diesen Wochen ist der Eisstreifen entlang der Hudson-Bay-Küste schon wieder geschlossen, für die Bären ist die fleischlose Zeit endlich vorbei. Sie verlassen die Gegend um Churchill, und den Robben geht es wieder an den Kragen. Dabei verfügen die Könige der Arktis über einen derartigen Geruchssinn, daß sie Ihre Lieblingsspeise auch noch eineinhalb Meter unter dem Schnee wittern und ausbuddeln.
Einen Tag nach meiner Ankunft ist es endlich soweit: Mit einem geländegängigen Wagen fahren drei amerikanische Fotografen und ich in die Wildnis. Das Wetter ist ausgesprochen schlecht fürs Fotografieren. Der Himmel ist bedeckt und ein eisiger Wind fegt bei leichtem Schneefall über die vereiste Tundra. Eigentlich ein Szenario wie geschaffen für den Auftritt vom König der Arktis. Wir gleiten an einem Gebüsch vorbei und bemerken in etwa 100 Metern Entfernung einen weißgelben Fleck in der graubraunen, mit Felsbrocken übersäten Landschaft.Ja, tatsächlich, es war ein mächtiger Eisbär, wohl um die 400 Kilogramm. Mehrmals richtete sich das Tier auf und äugte in unsere Richtung. Bis auf 50 Meter nähern wir uns. Nur schwer konnte ich mein 500-Millimeter-Teleobjektiv in eine ruhige Lage bringen, zu heftig schlägt mein Puls. Plötzlich entdecken wir hinter einem großen Felsbrocken einen zweiten Bären. Auch der erste Bär hatte die Witterung seines Artgenossen aufgenommen. Man muß wissen: Eisbärmännchen sind Einzelgänger, besonders wenn sie zwischen vier und sechs Jahre alt und somit geschlechtsreif sind. In der Wildnis halten sie Distanz. Hier aber sind sich zwei etwa gleichstarke Männchen buchstäblich auf den Pels gerückt.

Augenblicklich bewegen sich die mächtigen Tiere aufeinander zu. Nach einigen Drohgebärden richten sie sich auf. Mit Drücken und Schieben sowie mit gewaltigen Prankenhieben und blitzschnellen Bissen versuchen sie, in eine kampfentscheidende Position zu kommen. Nach etwa 20 Minuten ist die Auseinandersetzung vorbei. Unser Bär sucht mit blutverschmiertem Fell sein Heil in der Flucht, noch ein paar Meter verfolgt von seinem Gegner.
Nicht selten enden solche Kämpfe mit schweren Verletzungen eines der Kontrahenten.

Jürgen Schiersmann

© Jürgen Schiersmann

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